Direkt zum Inhalt

18. Jahrhundert und Empfindsamkeit

Während die Trau- und Liebesringe des 17. Jahrhunderts einen eher feierlichen Charakter hatten, wirken diejenigen des 18. Jahrhunderts viel unbeschwerter und verspielter. Üppige blütenförmige, bewegte und opulente Formen und Ornamente des Barocks setzten sich auch im Schmuck durch. Bei den Blumenmotiven wurde neben der Rose das Vergissmeinnicht wegen seiner Symbolik äusserst populär. Der deutsche Pflanzenname "Vergissmeinnicht" ist seit dem 15. Jahrhundert bezeugt. Er entstammt vermutlich einer mittelalterlichen Sage, worin die kleine Pflanze Gott bat, sie nicht zu vergessen. Weil die blauen Blüten im Volksglauben an die Augen frisch verliebter Menschen erinnerten, wurde das Vergissmeinnicht als Liebes- und Treuebeweis verschenkt. Der Pflanzenname findet sich in zahlreichen anderen Sprachen, so als forget-me-not im Englischen, als ne m'oubliez pas im Französischen oder als non ti scordar di me im Italienischen (Abb. 09). 

Abbildung 9

Abb. 09: Kollektion TN: Rokoko, um 1750, Gold, Silber, Granat, Glas, Diamanten. Der linke Fede-Ring präsentiert die mani in fede in einem Edelstein, einer Granat-Kamee. Der rechte Ring zeigt die Hände in einen türkisblauen Glasstein geschnitten. Dieser wird von beiden Seiten von Blüten flankiert, die wahrscheinlich Vergissmeinnichte darstellen. 

Die Formgestaltung der Eheringe blieb sehr unterschiedlich. Beliebt war der schlichte gold- oder silbervergoldete Ring, der innen an der Ringschiene mit einem Leitspruch, Posy, den Initialen des Paares und dem Hochzeitsdatum beschriftet war. In Frankreich erhielt das Ehebündnis den Namen Alliance. Damit dieses hochgeschätzte Eheband nicht vom Finger fiel, wurde es zusätzlich mit schmalen Diamantreifen, den Vorsteckringen geschützt, die paarweise auf jeder Seite des Eheringes getragen wurden. Jede Ringschiene war durchgehend mit einer Reihe von Diamanten gleicher Grösse und Qualität besetzt und ist noch heute als Alliance-Ring, Memory Ring, Memoire Ring oder Eternity Ring bekannt. Bis heute ist dieser Ringtypus als Vorsteckring oder Einzelring beliebt, und wird immer öfter als Verlobungsring gewählt. Es war auch üblich, dass eine Braut bei der Hochzeit einen Ring mit den Initialen ihres neuen Ehenamens im Ringkopf erhielt. Die mani in fede waren ein Liebessymbol unter vielen, am meisten bevorzugt in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts war allerdings das Emblem der Zwillingsherzen, oft lodernd, bekrönt, von Pfeilen durchbohrt oder mit einem Liebesknoten verbunden.

Die Epoche der Empfindsamkeit, eine Mode-Erscheinung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, machte die ineinanderliegenden rechten Hände erneut zu einem der beliebtesten Sinnbilder überhaupt. Ausgehend von der zeitgenössischen Literatur, übernahmen die Menschen das sentimentale Lebensgefühl, welches zu einem Schmucktrend mit gefühlvollem Inhalt und Hintergrund führte. Der sogenannte sentimentale Schmuck wie Freundschaftsschmuck (Abb. 10) und Trauerschmuck erfreute sich äusserster Beliebtheit: Nebst dem Symbol der mani in fede waren Remember-me Ringe, Augendarstellungen des Liebsten, sogenannte lover's eyes, Schmuck aus Haar, Abbildungen von antikisierenden Grabstätten und das alt ägyptische Uroboros-Motiv der Unendlichkeit, sich in den Schwanz beissende Schlange, weit verbreitet.

Abbildung 10

Abb. 10: Kollektion TN: Empfindsamkeit, um 1810, Gold, Glascabochon. Freundschaftsring. Der Ring aus der Goethe-Zeit präsentiert zwischen zwei eleganten geschweiften Ringschultern einen Glascabochon. In diesen ist von hinten ein «Reverse Intaglio» geschnitten. Das Intaglio ist mit Gold ausgefasst und zeigt neben den ineinanderliegenden Händen das Wort amitié, Freundschaft.

Angeregt durch das gefühlsbetonte schwärmerische Empfinden erfreuten sich die Menschen ab Anfang des 19. Jahrhunderts auch der Sprache der Steine. Als kleines Rätsel wurden Gefühle und persönliche Botschaften mit Edelsteinen ​​ausgedrückt, indem der Anfangsbuchstabe jedes verwendeten Steins genommen wurde. Das auf diese Weise entstandene Kurzwort nennt sich Akronym. Die diversen sentimentalen, gefühlsbelandenen Symbole wurden einmal mehr gerne miteinander kombiniert. 
Gutes Beispiel ist untenstehender Ring (Abb. 11): Die Blütenblätter dieses englischen Fede-Ringes bestehen aus unterschiedlichen Edelsteinen und machen diesen zu einem Akronym-Ring, also zu einem Schmuckstück mit einer versteckten Botschaft. Die Anfangsbuchstaben dieser Edelsteine bilden das Akronym „R-E-G-A-R-D“, was im Deutschen mit "Hochachtung, Wertschätzung und Bewunderung" übersetzt werden kann: Ruby (Rubin) / Emerald (Smaragd) / Garnet (Granat) / Amethyste (Amethyst) / Ruby (Rubin) / Diamond (Diamant). Den Ringkopf schmückt ein Arrangement in Form eines bekrönten Veilchens, erkennbar an den fünf Blütenblättern, gehalten von zwei rechten Händen, den mani in fede. Das Veilchen, im deutschen Sprachraum oft etwas stiefmütterlich behandelt, besitzt in anderen Sprachen und Kulturräumen eine sehnsuchtsvoll nostalgische Symbolik. Im Französischen hat es den Beinamen herbe de la pensée, soviel wie "Pflanze des Gedenkens" und gilt als Sinnbild des liebevollen Andenkens. Die englische Bezeichnung pansy leitet sich von dem französischen pensée ab, im Italienischen wird das Veilchen zur viola del pensiero, Veilchen der Erinnerung. Das kleine, stark duftende Veilchen mit seinen fünf herzförmigen Blütenblättern, zwei aufwärts- und drei abwärtsgerichtet, wird zum unverwechselbaren sentimentalen Motiv für Liebesschmuck – schliesslich heisst es auch bei uns im Volksmund nicht nur Stiefmütterchen, sondern auch Liebesgesichtli.

Abbildung 11

Abb. 11: Kollektion TN: Aus England, Georgianische Ära, um 1820, Gold und Edelsteine. Fede-Akronym-Ring. Um auf nächstes Kapitel vorzugreifen, verkörpert dieser englische Ring aus der Georgianischen Ära in sinniger Weise eigentlich alles, was man unter dem deutschen Biedermeier versteht: Bescheidenheit - die Steine haben einen Durchmesser von ca. 2 mm, zierliche Formen und ein gefühlvolles Motto.

Charakteristisch für den sentimentalen gefühlsbetonten Schmuck ist der Schmuck aus Haar. Ich kann mir kaum etwas Symbolträchtigeres, Persönlicheres und Intimeres vorstellen als ein Schmuckstück, das mit den Haaren eines geliebten Menschen verziert wurde. Bereits das Haar des Neugeborenen wurde in einer sentimentalen Geste gehegt und aufgehoben. Im Trauerschmuck wurden die  Haarsträhnen des geliebten Verstorbenen zum Gedenken aufbewahrt: Oft kunstvoll verflochten als Hintergrundplatte eines Trauerringes, darüber zum Beispiel die Initialen des Toten, oder als melancholisches Bild bestehend aus Trauerweiden, zerbrochenen Säulen, Urnen und an Altären trauernden Witwen. Die kahlen Totenköpfe und Skelette früherer Jahrhunderte wurden im 18. Jahrhundert durch rührselige Motive ersetzt. Weniger offensichtlich aus Haar sind die antikisierenden Miniaturszenen und Tableaus, welche direkt aus Haaren geklebt wurden. Häufig wurden die Haare zu feinem Staub zermahlen, in kleinen Mengen unter das Sepia gemischt und mit dem Pinsel auf Elfenbein, Porzellan, Pergament oder Pappmaché aufgetragen. Um sicher zu gehen, dass im Gedenkschmuck auch wirklich die Haare des geliebten Verstorbenen verarbeitet wurden, fertigten die Damen aus bürgerlichen und adeligen Kreisen den Schmuck eigenhändig in geselliger Runde nach gedruckten Anleitungen und Vorlagen an. So wurde zum Beispiel 1822 Emilie Berrins Buch, "Die Haarflechte - Gründliche Anweisung für Frauen, auf alle mögliche Art Haargeflechte nach der jetztigen Mode zu fertigen", zum wichtigen Lehrmaterial. Für den heutigen Betrachter ist es klar ersichtlich, ob das Schmuckstück von einer Laie gefertigt, oder von Sachkundigen ausgeführt wurde. Berufsmässig wurden in Deutschland die Haargeflechte von den Friseuren und Perückenmachern  hergestellt. 
Haare waren auch eine liebevolle Erinnerung an die Lebenden und wurden zwischen Verwandten, engen Freunden und Liebhabern in Schmuckstücken ausgetauscht. In diesem Sinne waren die Motive der Liebe und Freundschaft auf den Fingerringen und Medaillons unbeschwert und verspielt, wie das Vergissmeinnicht, der Hund für die unendliche Treue, die Täubchen für die Mutterliebe und das familiäre Glück, oder die mani in fede (Abb. 12). 

Abbildung 12

Abb. 12: Kollektion TN: Biedermeier, um 1840, Gold, Email, Haar. Hochzeitsring. Die ineinanderliegenden rechten Hände zieren den Ringkopf aus mechanisch gepresstem Gold. Die gepressten und von Hand ausgesägten oder maschinell ausgehauenen Hände wurden "verbödet", das heisst mit einem Metallboden versehen, und die Manschetten wurden schwarz-weiss emailliert. Das brünette Haar bildet die Ringschiene und ist zum starken, schlanken Geflecht verwoben. Dieses akkurate Haargeflecht scheint professionell von einem Friseur und nicht von einer Amateurin im häuslichen Kreis gefertigt worden zu sein.

Der komplizierte Drehschraub-Mechanismus der Gimmel-Ringe hatte sich ab etwa der Mitte des 18. Jahrhunderts vereinfacht. Statt der raffinierten Schraubverbindung wurde nun meist ein Stift eingesetzt, der die einzelnen Ringe fächerartig aufklappen und wieder schliessen lässt (Abb. 13). 

Abbildung 13

Abb. 13: Kollektion TN: Drei Gimmel-Ringe, deren Ringschienen mit einem Stift verbunden sind, Gold, Email. Der linke «Drillings-Ring», um 1780, besteht aus zwei Händen mit schlichten Handkrausen, welche ein Doppelherz, auf der dritten geriffelten Ringschiene, halten. Die Hände des mittigen, um 1800 aus England stammenden «Drilling-Rings», werden links und rechts von Blüten flankiert, die womöglich Vergissmeinnichte darstellen. Auch die Ärmel des rechten deutschen Gimmel-Rings, graviert «Juni 1843», sind mit Blumen verziert, die Reste von schwarzem und weissem Email zeigen und wohl ebenfalls Vergissmeinnichte abbilden.

×